Schwulendisco oder Prostitutionslokal?

  Am Freitag den 10. Mai 2019 kurz vor Mitternacht besuchten zwei verdeckte Ermittler der Polizei die Wiener Freiheit. Ihrem Bericht konnte man später entnehmen, dass sie gehört hatten, wie ein Mann an der Bar erzählte, dass er 30 Euro für einen Blowjob bezahlt habe. Außerdem habe ein Gast einem verdeckten Ermittler "Ficken oder Blasen" für 50 Euro angeboten und beiden einen Dreier für 80 Euro. Noch während die verdeckten Ermittler im Lokal waren, begann um 01 Uhr ein Polizeieinsatz mit 40 Polizisten. Die Musik in der Disco musste abgestellt und das Licht hell aufgedreht werden. Die Ausweise sämtlicher Gäste wurden eingesammelt, in der Reihenfolge der eingesammelten Ausweise wurden die Gäste einzeln aufgerufen und nach Hause geschickt mit dem Hinweis, das Lokal werde geschlossen. Es waren etwa 80 Gäste im Lokal, die Prozedur dauerte über eine Stunde. Der Einsatzleiter wollte den anwesenden Vereinsobmann zu einer freiwilligen Schließung des Lokals überreden, anderenfalls werde das Lokal polizeilich geschlossen. Eine freiwillige Schließung lehnte der Obmann ab. Polizeilich geschlossen wurde letztlich nicht das gesamte Lokal, sondern ein Kammerl im WC-Bereich, das für spontane sexuelle Kontakte diente. Der Einsatzleiter höchstpersönlich brachte ein Siegel an der Tür an.

Der weitere Verfahrensgang entwickelte sich nun in drei Richtungen. Das erste Verfahren betraf die Schließung des Kammerls - aus polizeilicher Sicht ein Prostitutionszimmer. Eine Schließung an Ort und Stelle durch die Polizei muss innerhalb eines Monats durch einen rechtskräftigen Bescheid bestätigt werden, sonst verliert sie ihre Gültigkeit. Also erließ die Landespolizeidirektion Wien am 4.6.2019 einen Bescheid, in dem stand:

Ein Zimmer zur Ausübung der Prostitution, des ohne rechtskräftige Kenntnisnahme der Behörde gemäß § 7 Abs. 3 Wiener Prostitutionsgesetz 2011 (WPG 2011) betriebene Prostitutionslokal Wiener Freiheit in Wien 5 Schönbrunner Straße 25, wird gemäß § 14 Abs. 1 WPG 2011 behördlich geschlossen.

Der Bescheid wurde an den Geschäftsführer des Lokals und an die Eigentümer des Hauses geschickt, nicht aber an den Betreiber des Lokals, nämlich den Verein Wiener Freiheit. Da er an die falschen Adressaten geschickt wurde und schon deshalb nicht rechtsgültig war, wurde Beschwerde erhoben. In der Beschwerde wurde angeführt, dass das Lokal nie als Prostitutionslokal betrieben wurde. In der Selbstwahrnehmung, in der Selbstdarstellung und auch in der Wahrnehmung der Besucher handelt es sich um eine schwule Diskothek. Wie in schwulen Lokalen üblich, gibt es einen Raum für spontane sexuelle Kontakte. Er wurde nicht zu Zwecken der Prostitution eingerichtet. Das Verwaltungsgericht Wien gab am 4.8.2020 der Beschwerde statt und hob den Schließungsbescheid betreffend Kammerl auf. Die Begründung ging aber nicht auf die Argumente der Beschwerde ein, sondern führte aus, dass die Behörde aufgrund des Wiener Prostitutionsgesetzes nicht berechtigt sei, ein einzelnes Zimmer zu schließen.

Gegenstand einer Schließung kann jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des e 14 Abs. 1 WPG immer nur das gesamte der Rechtsordnung nicht entsprechende Prostitutionslokal sein. Wenn die Behörde daher davon ausgeht, dass es sich beim Lokal „Wiener Freiheit" um ein gesetzwidrig betriebenes Prostitutionslokal handelt, kann sich die Behörde nicht auf die Schließung eines einzelnen - im Bescheidspruch nicht näher definierten - Zimmers beschränken, in dem Prostitutionshandlungen festgestellt bzw. aufgrund näher beschriebener Umstände vermutet werden, sondern hat die Schließung auch aller übrigen Räumlichkeiten des Lokals zu verfügen (zumal ja auch in anderen Räumlichkeiten, wie etwa dem WC, Prostitution ausgeübt und - etwa an der Bar - angebahnt wurde).

Adressat des Bescheids hätte außerdem der Verein Wiener Freiheit als Betreiber des Lokals sein müssen. Eine außerordentliche Revision der Landespolizeidirektion Wien mit der Begründung, es habe dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprochen, nur ein Zimmer und nicht den gesamten Gastronomiebetrieb mit zahlreichen anwesenden Gästen zu schließen, wurde am 16.10.2020 vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen, da es keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären gäbe.

Die Eigentümer des Hauses Schönbrunner Straße 25 nahmen den ihnen zugeschickten Bescheid zur Schließung eines Zimmers zum Anlass, im September 2019 eine gerichtliche Aufkündigung des Mietverhältnisses auszusprechen, da die Duldung bzw. Ausübung von Prostitution ein unleidliches Verhalten im Sinne des § 30 Abs. 2 Z. 3 zweiter Fall MRG und somit einen Kündigungsgrund darstelle. Gegen die Kündigung wurde Einspruch erhoben. 2020 schossen die Hauseigentümer zwei weitere Kündigungen nach. Im Dezember 2020 wurde vor Gericht ein Vergleich geschlossen, wonach das Lokal bis 29.1.2021 an die Eigentümer zu übergeben ist. Somit führte der Bescheid zur Schließung des Kammerls letztlich zum Verlust des Lokals und zum Ende der Wiener Freiheit.

Der dritte Verfahrenszweig war ein Verwaltungsstrafverfahren gegen den Obmann des Vereins, der sich bei der Polizeikontrolle als Verantwortlicher vorgestellt hatte, und gegen den am 17.5.2019 Anzeige erhoben wurde. Der Vorwurf lautete:

Sie haben am 11.05.2019 um 00:40 Uhr in Wien 5., Schönbrunner Straße 25 als Verantwortlicher des Prostitutionslokals Wiener Freiheit in Wien 5., Schönbrunner Straße 25 dieses, vor der rechtskräftigen Kenntnisnahme der Anzeige gern. § 7 Abs.3 WPG 2011 durch die Landespolizeidirektion Wien betrieben, indem Sie für die Ausübung der Prostitution ein Zimmer zur Verfügung gestellt haben. Das Zimmer wurde durch den Geheimprostituierten M.T. zur Prostitutionsausübung benutzt, weiters wollte der Geheimprostituierte J.M. ebenfalls diesen Raum dafür benutzen.

In einer parallel erstellten zweiten Anzeige lautete der Vorwurf:

Sie haben es als Verantwortlicher des Prostitutionslokals Wiener Freiheit in Wien 5., Schönbrunner Straße 25 unterlassen für die Einstellung der Prostitutionsausübung durch Personen, die die gesundheitlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, zu sorgen.

In der dazu eingebrachten Stellungnahme bestritt der Obmann, ein Prostitutionslokal zu betreiben. Am 23.9.2019 erließ die Landespolizeidirektion Wien zwei Straferkenntnisse nach § 7 Abs. 3 und $ 12 Abs. 1 Wiener Prostitutionsgesetz und verhängte Strafen in Höhe von 1000,- und 700,- Euro plus 170,- Euro Kostenbeitrag. Die Begründung in den Straferkenntnissen lautete:

Für die Behörde steht somit aufgrund der glaubwürdigen Aussagen der Beamten unzweifelhaft fest, dass in Ihrem Lokal Prostitution ausgeübt wird Dass Sie dies nicht bemerken würden, erscheint unglaubwürdig Vielmehr erweckt es den Anschein. dass Sie dies durch Zurverfügungstellung einer geeigneten Infrastruktur begünstigen, wenn nicht sogar bezwecken. Es ist absolut unüblich. dass es - ausgenommen in einschlägigen Lokalen - in einem Lokal Räumlichkeiten gibt, über die die Gäste gleichsam insofern die Verfügungsmacht haben, als sie sich in diesen Räumlichkeiten einsperren können
Da Sie die Verfügungsmacht über das von Ihnen betriebene Lokal haben, haben Sie auch die faktische Verfügungsmacht über alle zum Lokal gehangen Räumlichkeiten. Dass das als 'Separee' bezeichnete Zimmer offensichtlich für derartige Leistungen gedacht ist und dass dort derartige Handlungen vorgenommen werden, kann Ihnen keinesfalls entgegen sein. Sie sind somit Verantwortlicher eines Prostitutionslokals iSd § 2 Abs 6 Wiener Prostitutionsgesetz 2011 und zeichnen demnach für die Einhaltung der in § 7 aufgestellten Verpflichtungen verantwortlich.

Gegen den Strafbescheid wurde Beschwerde erhoben. Die Behauptung, es handle sich bei der Wiener Freiheit um ein Prostitutionslokal, wurde als nicht begründete Unterstellung zurückgewiesen. Dazu wurde eine umfangreiche Dokumentation beigelegt, wie sich das Lokal auf der Homepage darstellt und wie es in Szeneguides dargestellt wird. Am Abend der Polizeikontrolle wurden lt. Registrierkasse 116 Eintrittsbons verkauft. Wenn die verdeckten Ermittler unter 116 Gästen zwei ausfindig machen konnten, die bereit waren, Sex gegen Geld anzubieten, mache das aus einer Diskothek kein Prostitutionslokal. Am 26.2.2021 entschied das Verwaltungsgericht Wien über die Beschwerde und hob das Straferkenntnis auf. Die Begründung ging nicht auf die strittige Sachfrage ein. Zur Aufhebung führte vielmehr der Umstand, dass im Strafbescheid der Obmann als Verantwortlicher des Prostitutionslokals angesprochen wurde, während im Wiener Prostitutionsgesetz der Betreiber eines Prostitutionslokals als Verantwortlicher festgelegt ist. Der Betreiber war in diesem Fall der Verein. Begründet wurde die Einstellung des Verfahrens so:

Der Beschwerdeführer hätte es nun zu vertreten, dass das vom Verantwortlichen, nämlich dem Verein „Wiener Freiheit" betriebene Prostitutionslokal vor der rechtskräftigen Kenntnisnahme der Anzeige durch die Behörde gemäß § 7 Abs. 3 betrieben wurde. Eine derartige Spruchänderung kommt allerdings nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist - wie im vorliegenden Fall - nicht in Frage.

Abgesehen von der Kündigung (die zum Verlust des Lokals geführt hat), wurden alle Verfahren eingestellt. Fein, könnte man sagen. Aber die Einstellung der Verfahren beruht auf juristischen Spitzfindigkeiten und ist dem Umstand geschuldet, dass die Behörde bei der Bescheiderstellung kleine Fehler gemacht hat. Der Ausgang fällt in die Kategorie Glück gehabt - und darauf sollte ein Rechtssystem nicht basieren. Die wesentliche Frage lautet: kann ein Gelegenheitsstricher, der ohne Wissen und Einverständnis des Lokalbetreibers seine Dienste anbietet, ein Lokal in ein Prostitutionslokal umwandeln? Diese Frage wurde in den Verfahren nie ausdrücklich behandelt. Indirekt aber schon, da die von der Landespolizeidirektion vorgenommene Klassifizierung als Prostitutionslokal übernommen und nicht in Zweifel gezogen wurde. Das Wiener Prostitutionsgesetz definiert Prostitutionslokale als zur Anbahnung oder Ausübung der Prostitution bestimmte oder verwendete Gebäude, Gebäudeteile oder andere geschlossene Räume. Sobald in einem Lokal Prostitution ausgeübt wird, wird es so verwendet und ist folglich ein Prostitutionslokal - völlig unabhängig davon, mit welcher Absicht das Lokal betrieben wird. Das hat weitreichende Folgen für Lokalbetreiber. Wenn ein beliebiger Sexarbeiter jederzeit eigenmächtig das Lokal zum Prostitutionslokal umwidmen kann, kann der Betreiber nie sicher sein, welche Art von Lokal er betreibt und welche Vorschriften er zu beachten hat.

Das berührt einen ganz grundsätzlichen Aspekt des Rechtssystems: Was muss man tun, um sich rechtskonform zu verhalten? Im vorliegenden Fall hätte der Betreiber das Lokal prophylaktisch als Prostitutionslokal anmelden und die Besucher fragen müssen, ob sie die gesundheitspolizeilichen Voraussetzungen für Prostitution erfüllen - für den Betrieb einer Diskothek eine eher unpraktische Lösung. Eine zweite Methode, rechtskonform zu bleiben, wäre sicherzustellen, dass keine Prostitution ausgeübt wird. Die Zurverfügungstellung eines Raumes für sexuelle Kontakte betrifft das nur am Rande, denn wenn es einen solchen Raum nicht gibt, können ebenso die WCs für diesen Zweck verwendet werden. Eine technisch aufwändige Lösung wäre es, Zutrittsschranken vor den WC-Türen zu installieren, die gewährleisten, dass immer nur genau eine Person die Kabine betritt. Sicherheitshalber könnte man Prostituierte vom Besuch des Lokals generell ausschließen. Das ist auch nicht so einfach, denn diese haben in der Regel kein Schild umhängen und 'Geheimprostituierte', wie sie in der Anzeige genannt sind, erst recht nicht. Somit hilft nur Bespitzeln. Der Lokalbetreiber müsste also die Methoden der verdeckten Ermittler anwenden, um möglicherweise anwesende Prostituierte zu überführen und von ihrem gesetzwidrigen Tun abzuhalten.

Die Situation erinnert an das Rauchverbot: Wenn sich A (der Gast) im Lokal eine Zigarette anzündet, macht sich B (der Wirt) strafbar. Wenn A (der Gast) im Lokal einen Blowjob für 30 Euro anbietet, ist B (der Wirt) wegen gesetzwidrigen Betriebs eines Prostitutionslokals dran. Diesem Rechtssystem ist nicht mehr zu trauen.

Ein pikantes Detail am Rande gibt es auch: Im Lokal war eine dem DVR gemeldete, ordnungsgemäß gekennzeichnete Videoüberwachung installiert. Sie wurde benutzt, um im Fall von Sachbeschädigungen oder Raufereien die Beteiligten herauszufinden. Wegen der von der Polizei erhobenen Vorwürfe gegen das Lokal wurden die Videoaufzeichnungen des Abends gesichert. Da bei der Verhandlung die verdeckten Ermittler als Zeugen aussagten, konnten sie in den Videoaufzeichnungen identifiziert werden. Eine Durchsicht der Aufnahmen ergab, dass ihre Berichte in wesentlichen Punkten erfunden und ihre Zeugenaussagen falsch waren.

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